Das Tattoo hat längst das Knast- und Rotlicht-Milleu verlassen. Heute sind schöne Tattoos kostbare Schmuckstücke, die man mit Stolz trägt und die man liebt und pflegt. (Mit freundlicher Genehmigung der Believa GmbH.)

 

Die Sache mit den Tattoos

 

Es kostet richtig Geld. Es tut weh. Man muss vielleicht monatelang auf einen Termin warten. Und man wird es nie mehr los. Warum also tut man sich das an?

Hier ein paar Gedanken zum permanenten Körperschmuck aus meiner Sicht - und jetzt wage ich mich auch noch ein bisschen auf das ungewohnte Terrain der Geschichte, der Psychologie und Soziologie vor.

 

Als Allgemeinwissen gilt, dass Kapitän James Cook (1728-1779) und seine Seeleute das „Tatau“ und die faszinierende Kunst des „Tatauierens“ von den Polynesiern aus der Südsee mitbrachten und in Europa bekannt machten – und sie hatten ja auch gleich ein paar tätowierte „Eingeborene“ dabei, die hemmungslos zur Schau gestellt und allseits begafft wurden.

 

Aber das Tattoo ist keinesfalls eine exklusiv polynesische Erfindung. Wusstet ihr das: Zu allen Zeiten und auf allen Kontinenten haben Menschen fast aller Kulturen sonstwas unternommen, um sich zu tätowieren. Tätowiert waren die Indianer Süd- und Nordamerikas, die Inuit und die Tschuktschen am Nordpolarmeer, die Afrikaner, Inder, Ostasiaten und natürlich der ganze pazifische Raum – und auch die Europäer, denn bereits die weltberühmte Gletscherleiche „Ötzi“ (ca. 3200 v.Chr.) hatte Tattoos.

Im klassischen Altertum erschreckten die Briten die einmarschierenden Römer mit ihren wilden blauen Designs (teils gemalt, teils tätowiert), und die alten Griechen hatten einen Mordsrespekt vor den furchterregenden Skythen aus dem Osten, die pachtvolle und selbstbewusste Tattoos trugen.

Ja, die zivilisierten Römer und die Griechen – für die war das Tattoo „igitt“ und vor allem dazu da, entlaufene Sklaven oder sonstwie straffällig gewordene permanent „abzustempeln“; also ein Merkmal der Randgruppen, der Kriminellen, der Barbaren. Griechen und Römer hielten also nichts von Tattoos, und ein anständiger Römer war selbstverständlich nicht tätowiert.

 

Und wer hat hinterher das späte Römische Reich sprachlich, religiös und kulturell beerbt? Richtig, wir Mitteleuropäer! Noch Fragen ?! So war durch die gesellschaftlichen Normen des piekfeinen Alten Roms das Tätowieren hierzulande so gründlich aus dem Blickpunkt geraten, dass Käpt´n Cook es als sensationell neu aus der Südsee mitbringen konnte!

 

Die Sehnsucht nach dem Tattoo ist groß: in vielen Kulturen gehörte das Tätowieren zum Initiationsritus, wenn man „ein richtiger Mann“ geworden ist bzw. das Mädchen in die Gemeinschaft der Frauen aufgenommen wird. Und diese Sehnsucht umspannt alle gesellschaftlichen Schichten: Jeder Knacki peikt sich mit Büroklammer oder Kugelschreiber Dreck in die Haut, aber auch eine Kaiserin Elisabeth von Österreich ("Lisi" oder "Sisi" oder "Sissi“, 1837-1898) trug einen Anker auf der Schulter. Gekrönte europäische Häupter wie König George V, König Edward VII von England, Frederik IV von Dänemark, Zar Peter der Große, Nikolaus II. und Katharina die Große waren tätowiert. Teilweise reiste der Adel Ende des 19. Jahrhunderts nach Japan zu berühmten Tattoo-Meistern. (Umgekehrt lassen sich heute ölmilliardenschwere arabische Königssöhne deutsche Startätowierer in ihre Paläste einfliegen.)

Und trotzdem waren wir tattootechnisch Anfang des 20. Jahrhunderts wieder bei den Verhältnissen im alten Rom angekommen: Zu Zeiten unserer Großeltern war ein anständiger Mensch natürlich nicht tätowiert (wir alle kennen aus dem Film Rocky Horror Picture Show (1975) die entrüstete Reaktion des biederen Brad auf die Frage nach Tattoos: „certainly not!“). Erblickte man damals eine Tätowierung (oder was mal eine gewesen war: es gab damals so viele grottenhässliche, verlaufene, ausgefranste Tattoos!), dann erwartete man automatisch Entschuldigungen wie „zur See gefahren“, „im Knast gesessen“ oder „Jugendsünde im Vollrausch“ – also ein Merkmal der Randgruppen.

 

Und verrückt: Genau dieses „Halbkriminellen- und-Schmuddel-Image“ verhalf dem Tattoo zum erstaunlichen Comeback: Nach der Spießigkeit der Sechziger Jahre kam nämlich eine neue Generation, die vor allem rebellieren und provozieren wollte: Mit langen Haaren, wilder Musik, Drogen, sexueller Freizügigkeit, neuen Lebensmodellen – und Tattoos. Wie herrlich konnte man Mutters und Vaters heile Welt aufmischen, wenn im artigen Kinderzimmer plötzlich ein BRAVO-Starschnitt mit lebensgroßen, üppig tätowierten Rock-Idolen hing. Und allein der Gedanke, dass man mal selber mit sowas coolem nach Hause kommen könnte… ! Man konnte ja erst mal mit einem Ohrring anfangen… ;-)

 

Aus dem Rock wurde der Pop, aus den Rebellen die Lehrer, aus den Rockern Verwaltungsangestellte, aus Kiffern Unternehmer, Wissenschaftler und Politiker – und sie alle nahmen die Tattoos mit in die Mitte der Gesellschaft und sogar in die Upper Class.

Heute muss man sich schon etwas wirklich Originelles einfallen lassen, um mit einem Tattoo noch aufzufallen oder gar zu schockieren. Wir erleben nämlich gerade eine Inflation der Tattoos! Jeder Justin Bieber macht es uns vor, dass man heute bereits als Babyface Tattoos trägt – auch wenn die auf diesem Kind aussehen wie dämliche Abziehbildchen.

 

Es gehört heute wirklich nicht mehr viel zum ersten Tattoo. Sobald das Datum in deinem Perso behauptet, dass du volljährig bist, macht dir jedes Studio (viele leider auch schon vorher!) alles, was das Taschengeld hergibt. Viele Studios werben mit „Walk-in-days“, wo du dir sogar ohne Termin sozusagen im Vorbeigehen ein „Tattoo to go“ mitnehmen kannst – ein belangloses kleines Sternchen oder China-Schriftzeichen, irgend eine Comicfigur oder sonstwas völlig bedeutungsloses. Und das wars dann schon – dein erstes Tattoo - das hast du dann auch schon gehabt...

 

Aber wie schade ! Die Entscheidung, ein Tattoo zu einem Teil von dir zu machen, das ist doch etwas Großes, Feierliches! Eine Zeremonie, ein Ritual! Etwas, was du dir nach langem Reifen schenkst, wenn du endlich bei dir angekommen bist, wenn du endlich gelernt hast, dich gern zu haben! …oder… oder… Aber wenn du dir bereits als Schüler ein blödes kleines Startup-Tattoo machen lässt: Es ist nicht viel dabei, imponieren kannst du damit niemandem mehr – aber der Zauber ist gebrochen, der Lack ist ab, die freudige Erregung dahin.

In vielen traditionellen Kulturen hast du dein Tattoo als Ehrenzeichen bekommen, wenn du dessen würdig geworden warst. Es sagte dann etwas aus über deine Herkunft, deinen Mut oder deine Großzügigkeit. Es hat eine Geschichte erzählt – deine Geschichte. Bei uns ist es auf den Ärmchen unserer Kids zur käuflichen, beliebigen, belanglosen und stinklangweiligen Deko geworden – ein „to-go“-Produkt wie ein Kaffee im Pappbecher.

Mit dem Tattoo ist es doch wie mit dem Bund fürs Leben: auch da reden viele viel zu früh von der Großen Liebe und machen gleich alles incl. Zusammenziehen, Ehe, Kinder – und nach wenigen Jahren ist alles vorbei, viel bereut, viele Tränen geflossen, und sie würden sonstwas dafür geben, alles spurlos wieder „weglasern“ zu können.

Wir sollten mehr auf Cat Stevens hören: „take your time, think a lot…“. Oder auf Paulus: „prüfet alles, und das Gute behaltet“. Oder auf Bruce Lee: „Nimm an, was nützlich ist. Lass weg, was unnütz ist. Und füge hinzu, was dein Eigenes ist“. Dein Eigenes ! Bewusst und achtsam leben. Seinen Gedanken zuhören und sich entwickeln. Und mit spannenden und kostbaren Geschenken verantwortungsbewusst umgehen: mit unseren Ressourcen, mit Körper und Gesundheit, Vetrauen, Freundschaft und Liebe – und mit Tattoos   ;-).