Bunte Vielfalt – Eine coole Costa-Rica-Geschichte

 

Was Tattoos betrifft, gibt es zwei Gruppen von Leuten: die einen finden sie cool, faszinierend und sexy, die anderen beeilen sich zu versichern, wie eklig und abstoßend sie sie finden. Und unter diesen verbirgt sich wieder eine Dunkelziffer von solchen, die sie irgendwie doch ganz faszinierend finden, die vielleicht sogar heimlich davon träumen, selber so ein cooles Tattoo zu haben – aber die es nicht mal sich selbst gegenüber zugeben mögen.

Es dauerte lange, bis ich von der zweiten zur ersten Gruppe wechselte und mich als absolut tattoophil outen konnte! Jetzt bekenne ich: es gibt zwar nichts Hässlicheres als hässliche Tattoos! Aber hübsche, künstlerische an einer schönen Stelle sind ja wohl der absolute Hammer!

 

Während meiner botanischen „Lehr- und Wanderjahre“ zwischen 1993 und 1998 lernte ich im Amazonasgebiet Ecuadors den Baum Genipa americana kennen, mit dessen Saft man blauschwarze Tattoos machen kann, die wochenlang halten. Auf unserer kleinen biologischen Feldstation war es unter den Studenten und Gästen Mode geworden, sich damit zu tätowieren, aber damals war ich noch so gehemmt und verklemmt, dass ich es nicht mal ausprobierte (obwohl ich glaubte, dass ich wahrscheinlich hübschere Tattoos zeichnen konnte als die albernen kleinen Krickel-Bildchen, mit denen sich die anderen überall bemalten!). Aber ich habe es damals nicht einmal ausprobiert.

Danach schloss ich meine Studien ab, wurde Botaniker, Universitätsdozent, Buchautor, Reiseleiter und sogar Kustos eines richtigen Botanischen Gartens mit Spezialisierung auf Tropenpflanzen, außerdem Hausbesitzer, Ehemann und Vater, Gärtner und Terrarianer und habe mir den geliebten Regenwald teilweise nach Hause geholt: Ich halte und züchte Pfeilgiftfrösche, Gespenstschrecken, Vogelspinnen und noch so allerlei andere abgefahrene exotische Tiere. Und im Frühjahr 2015, also 22 Jahre nach meinem „Erstkontakt“ mit Genipa stieß ich darauf, dass jemand in Amerika das Zeug unter dem Namen Jagua verkauft. Es ist erhältlich?! Was wäre wenn…?! In ein paar Wochen würde ich wieder zu einer Studentenexkursion noch Costa Rica aufbrechen. Es wäre genug Zeit, sich den Stoff kommen zu lassen, auszuprobieren und meine Studies mit diesem ausgesprochen unterhaltsamen ethnobotanischen Thema zu überraschen! Es war ja noch Winter – ich könnte unter meinen langen Hosenbeinen unbemerkt allerlei Selbstversuche machen.

 

13. bis 29. März 2015: Costa Rica mit 20 Studenten der Fächer Biologie und Biodiversität.  Unsere Reise sollte mit einem Klima-Extrem beginnen: Bevor die Teilnehmer überhaupt etwas von tropisch-üppiger Vegetation gesehen hatten, führte uns die Interamericana über den Cerro de la Muerte in 3400 m Höhe, den nördlichsten Páramo der Neuen Welt. Es galt also das „Prinzip Zwiebelschale“: lange Hose, Hemd, Fleecepulli und Regenjacke. Aber danach ging es hinab ins Tiefland, mit jedem Kilometer wurde es wärmer, und an einem Rastplatz irgendwo auf der Strecke zippte die langen Beine meiner Hose off. Die Wirkung trat schon nach Sekunden ein: „Was hast du denn da für eine geile Tarantel?!“ war die anerkennende Reaktion der Studies auf das Vogelspinnen-Tattoo auf meiner wohlgeformten Wade. (Ich liebe meine Beine: sie sind schon so viel gelaufen und gewandert und haben mir so viel von Gottes herrlicher Welt gezeigt – und das sieht man! (Und übrigens Basti: Weißt du eigentlich, was es für einen alten Sack bedeutet, wenn ihm die jungen Studies „Angeber-Waden“ bescheinigen?))

„Ja, eine Erinnerung an Ecuador 1998, „ sage ich mit der größten Selbstverständlichkeit,  „daher leider schon etwas blass“. „Ja, sieht aber immer noch richtig geil aus!“ Die Überraschung war gelungen, wer es verpasst hatte, dem musste ich es hinterher auf Nachfrage noch mal zeigen. (Das mit den Taranteln und den Vogelspinnen würde ich ihnen schon noch zu gegebener Zeit erklären).

Drei Tage später habe ich alle zu einem amüsanten Abendvortrag im schönen neuen Freiluft-Vortragssaal in der Station versammelt, um ihnen einen neuen kleinen Vortrag über „Regenwald-Chemie“ zu halten: dass die ca. 400.000 bekannten Pflanzenarten ja nicht nur sichtbare Merkmale wie Blattform- und Stellung, Nervatur, Aufbau von Blüte und Frucht etc. haben, sondern dass der Wald aller Wälder auch zahllose spannende Sekundäre Pflanzenstoffe liefert: solche, die die Welt veränderten wie das Piperidin (Pfeffer und andere „morgenländische Spezereyen“ und die Suche nach ihnen haben immerhin das Mittelalter beendet!) und das Chinin (ohne die Inhaltsstoffe der Fieberrinde würde man in den Tropen immer noch hilflos an Malaria sterben). Solche wie das tödlich giftige Strychnin, aus dem die Indios östlich der Anden die Curare-Pfeilgifte für die Jagd bereiten und die Batrachotoxine aus dem Pfeilgiftfrosch Phyllobates terribilis, mit denen die Emberá-Indios westlich der Anden Gifte mit gleicher Wirkung herstellen. Ich erzählte von neu gefundenen, opiatähnlichen Schmerzmitteln aus dem Dreifarb-Baumsteiger Epipedobates tricolor und von „Giftspinnen“ wie Taranteln, Vogelspinnen, Schwarze Witwen und die Phoneutria, aus deren Latrotoxinen man neuerdings wirksame Mittel gegen chronische Schmerzerkrankungen zu machen hofft.

Und es ging schließlich um Substanzen, die einfach nur abgefahren sind und Spaß machen: das Miraculin aus der Wunderbeere Synsepalum dulcificum, das unsere Geschmackssinne verwirrt und uns eine Stunde lang alles Saure süß schmecken lässt, und das leuchtend orangerote Flavonoid Bixin aus Bixa orellana, mit dem die Colorados („die Bunten“) in Ecuador sich hautpflegenderweise leuchtend rot färben.

 

Und um das Genipin aus Genipa americana.

 

Jetzt zaubere ich ein Fläschchen mit einem schwarzen Gel aus der Tasche und stelle es auf den Tisch. Kunstpause. Ich erzähle, dass der Inhalt dieses Fläschchens eine weite Reise hinter sich hat: geerntet von den Matsés im tiefsten Amazonien irgendwo im peruanisch-brasilianischen Grenzgebiet, mit dem Kanu zu einem kleinen Regenwaldflugplatz, mit der Propellermaschine nach Iquitos, von dort nach Lima, Los Angeles, Frankfurt (Main), Grifte und wieder zurück nach Frankfurt, Madrid, San José und jetzt La Gamba. Der Augen der Studies werden immer größer. Die Pflanze ist als Jagua (Peru), Huito (Ecuador) oder Jenipapó (Brasilien) fast der „Baum des Lebens“ vieler tropisch-amerikanischer Völker: man kann aus den reifen Früchten Marmelade machen, den Saft als Bakterizid, Fungizid und zur Hautpflege nutzen und sogar den Candirú damit aufweichen und somit eine Penisamputation abwenden (der gefürchtete Harnröhrenwels Vandellia cirrhosa kommt nur in Amazonien vor, schmarotzt in Fischen, kann sich aber „versehentlich“ auch in die Harnröhre Nacktbadender verirren und verkeilt sich dann mit hässlichen, rückwärts gerichteten Flossenstacheln darin). Und auch in dem Sud, in dem die Shuar im Ecuatoranisch-Amazonien ihre Schrumpfköpfe kochen, darf Genipa nicht fehlen: ein Stoff für und gegen alles !

Aber vor allem kann man geile Tattoos damit machen! Der an sich farblose Saft geht im Laufe von 48 Stunden mit den Aminosäuren der obersten Hautschichten eine chemische Reaktion ein und macht ein blauschwarzes Tattoo, das 2 Wochen hält. Also ideal als Regenwald-Spaß-Tattoo für die Dauer einer Costa-Rica-Exkursion, oder auch eine derbe Überraschung für Freund oder Freundin zu Hause… (die aber bei Nichtgefallen gottlob wieder verschwindet!).  Oder einfach um auszuprobieren, wie man sich mit Tattoo fühlt ! (Also ich muss sagen:  ich habe meines und die Reaktionen der Studies darauf sehr genossen ! Und: ich erinnere an Sandra Bullock in dem herrlichen Film „Mrs Undercover“,  die nach ihrer Verwandlung plötzlich so stolz auf Ihre Brüste ist: Ein hübscher Hingucker an der richtigen Stelle verleiht einem irgendwie Tonus, aufrechten Gang und eine selbstbewusste Haltung!)

Die Sache war also ein voller Erfolg: Am nächsten Abend war nach dem Abendessen auf der geräumigen Speiseterrasse das Tattoo-Studio eröffnet. Ich hatte eine Auswahl von Zeichnungen von Fröschen, Kolibris, Spinnen und anderen tropischen Motiven mitgebracht, und meine ersten Arbeiten wurden zu einem viel fotografierten geselligen Event. Im Laufe der nächsten Tage hat sich nicht nur die Hälfte meiner Gruppe tätowieren lassen; auch einige der anderen Gäste der Station wollten einen „Termin“. Nehmen wir also Herpetologen und Bodenkundler aus Österreich, Luxemburg und den netten Rodolfo aus der Station hinzu, kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass ich „international arbeite“.

Mit dem Zeichnen habe ich mir viel Mühe gegeben, schließlich wollte ich meine Studies nicht verunstalten, denn drauf ist drauf… für zwei Wochen. Im Übrigen dürfte es wohl weltweit ziemlich einmalig sein, von seinem Universitätsdozenten ein Tattoo zu bekommen. Die Mädels bevorzugten Verzierungen auf dem Schulterblatt oder den schlanken Hand- und Fußgelenken, die Jungs hielten, je nach Bemuskelung, Brust, Schulter oder Wade hin. Faszinierend, wie unterschiedlich das Zeug je nach Hauttyp reagiert: bei einigen dauerte es tatsächlich 2 Tage und erreichte nur ein „Kugelschreiberblau“; bei anderen entwickelte sich ein selbstbewusstes, satt blauschwarzes Tattoo vor unseren begeisterten Augen. Mein Favorit war die Boa constrictor von Kolja – ich hätte sie selber gerne gehabt, aber das geht bei sich selbst so schlecht. Schon so fragten mich die Studenten, wie ich denn auf der eigenen Wade so eine coole Spinne hinbekommen hätte und ob ich seit Jahren Joga mache. Die Boa stand ihm aber auch saugeil; verständlich, dass er sie am letzten Tag für seine Simone zu Hause noch mal „nachgestochen“ haben wollte.

 

Dieses Thema aus dem bunten Blumenstrauß „Geschichten aus der grünen weiten Welt“ hatte ich noch nie gebracht. Es war das erste Mal im Angebot, und ich war sehr gespannt, ob es der „Kundschaft“ gefallen würde – und ich war ja auch etwas unsicher, ob es denn auch genügend seriös ist und sich "El profe" so etwas leisten kann. Aber ich hätte nie gedacht, dass es so ein Spaß und so ein Erfolg würde!

(Naja, und mit der Vogelspinne auf der Wade fing ja die Geschichte dann gerade erst an...)